HOME INDEX
DEUTSCHER FILM
DER DEUTSCHE
FILM
MAIL English Version

 
Marianne Winkelstern

Picture Marianne Winkelstern
Foto: Alexander Binder (1888-1929)

1910 - 1966

.
.
Marianne Winkelstern wurde als Maria Anna Martha Winkelstern in Berlin geboren. Sie machte sich vor allem als Solo-Tänzerin einen Namen.  Ihr Vater, Adolf Winkelstern, stammte aus der Gegend südlich von Kassel.  Sie wuchs mit zwei Schwestern auf, Eva und Liselotte, erstere war mit einem Sohn des Berliner Bildhauers August Kraus, letztere mit dem Tenor Erich Bodart, dem Bruder des Komponisten Eugen Bodart, verheiratet.                                  
Der Vater hatte eine gutgehende Importfirma für Kaviar, die auch kaiserlicher Hoflieferant war.  Er besaß das "Hotel Viktoria" in Misdroy auf Wollin, das nur im Sommer geöffnet war. Vom Wohlstand hatte leider die (spätere) Marianne  zunächst nicht allzuviel, da ab 1916 die Folgen des Krieges spürbar  wurden, mit dem "Kohlrübenwinter" 1916/17.  Dennoch wuchs sie als behütetes Nesthäkchen auf. 

Es war der Ehrgeiz des Vaters, aus ihr eine Tänzerin zu machen. Neben ihren Tanzstunden wurde sie nur privat von einer alten Dame unterrichtet, besuchte nie eine Schule. Als Kind gab sie bereits Tanzabende,  die der Vater unter Übernahme der Kosten organisierte.  

Marianne Winkelstern war eine ausdauernde Person ohne jegliche Sentimentalität oder Romantik, gradlinig und pflichterfüllend, hart gegen sich selbst, später auch gegen andere, die grossen Wert auf Perfektion legte. Einmal tanzte sie einen ganzen Akt weiter,  obwohl sich ein Nagel aus dem Ballettschuh in den Fuß getrieben hatte, der blutete.  Die Goebbels-Tagebücher erwähnen ihren Besuch, zusammen mit der damals ebenfalls tanzenden Leni Riefenstahl.  

Beim Film debütierte sie bereits 1928 in "Der Faschingsprinz" (28), es folgten die Filme " Die Zirkusprinzessin" (28) und "Der weisse Teufel" (30).  Hinzu kamen "Liebeswalzer" (30), "Nur Du" (30), die "Die große Attraktion (31) und "Ein Kuss in der Sommernacht" (33).  

Mit steigendem Erfolg bezog sie eine eigene Wohnung im Haus ihrer Familie und leistete sich ein attraktives weißes Kabriolet in Sonderanfertigung. Mit diesem fuhr sie eines Tages einen alten Mann zu Boden, der daraufhin starb. Sie wurde von aller Schuld freigesprochen, da letzterer ihr praktisch vor den Kühler gelaufen und nicht mehr bei Sinnen war. Schockiert über diesen Vorfall,  wollte sie eine Zeitlang Berlin verlassen.  Ihr Förderer "Erik Charell" (Erich Löwenburg) war auf Grund seiner Abstammung inzwischen nach England emigriert, wo er sie in der nunmehr im London Coliseum erneut aufgezogenen Musikrevue "Casanova" in ihrer früheren Berliner Funktion als Ballerina einsetzte.  
Da sah sie ihr späterer Ehemann, Enkel eines Lords, aus Familien stammend, die im viktorianischen Zeitalter zu Reichtum und Ansehen gekommen waren.  SeinVater sowie der Vater seiner Mutter waren langjährige Parlamentarier, staatstragende obere Mittelschicht, wie es sie in Deutschland seit 1918 praktisch nicht mehr gab.  
Vom Charakter war er völlig anders als die damals noch lebenslustige Marianne.  Der Altersunterschied von elf Jahren war weniger ein Problem, da ihre Verehrer schon immer wesentlich älter gewesen waren. Wohlhabend und angesehen, aber im Umgang kompliziert, ließ er von der jungen Frau nicht mehr ab,  auch dann nicht, nachdem sie wieder zurück in Berlin war. Dort tauchte er nun regelmäßig auf,  zuletzt als Flieger eines hierfür angeschafften Flugzeugs.  Sie war von der Werbung weniger begeistert, anders als ihr Vater, der in ihm einen Schwiegersohn seiner Art wiederfand, im Gegensatz zu den beiden anderen Ehemännern seiner Töchter, ein Kunstmaler und ein Sänger.  
Dem Druck sich beugend, willigte sie endlich ein, gab alles in Deutschland auf, wechselte ihre Staatsangehörigkeit und wurde durch ihren Mann in die Londoner Gesellschaftskreise aufgenommen und dem König vorgestellt.  Ihre ehemalige Tätigkeit, die ihr Mann mehr oder weniger als "Tingel-Tangel" wertete,  war ihr fortan peinlich und durfte nirgendwo erwähnt werden. 
Die einzige Freiheit die sie durchsetzte, waren Sommerurlaube in Deutschland, während ihr Mann in Mittel-Norwegen nach Lachsen  angelte, zu stolzem Pachtzins, wie schon seine Vorfahren an der gleichen Stelle.  

Seit 1934 oder 35 verheiratet, strebte dieser Ende der 30er Jahre danach, sich und seine Frau "in ruhigeres Fahrwasser zu leiten", und kaufte hierfür ein wunderschönes Anwesen mit Wald, Seen und Wiesen von etwa 1 qkm in Sussex, 100 Kilometer südlich vom Londoner Zentrum.  So befand er sich tagsüber in London, während seine Frau im "goldenen Käfig" verblieb. Hieran gewöhnte sie sich, gestützt durch die schöne Umgebung und freundliche Untergebene. 

Als der Krieg ausbrach, zog er sich ebenfalls auf das Anwesen zurück. Dank seines Status, der Tatsache, daß sie eine Frau war, und ihrer politischen Unkenntnis gab es für sie als gebürtige Deutsche keine Diskriminierung. 
Nach dem Krieg stand sie nun als reiche Tante da, während die deutsche Verwandschaft,  insbesondere ihr Vater, ausgebombt und verarmt waren. Um diese kümmerte sie sich fortan, auch gegen Widerstände bis zu ihrem Tode in vorbildlicher Weise.  
Zu dieser Zeit pendelte sich ein Jahresablauf ein, der die nächsten 20 Jahre beibehalten wurde. Im Sommer befand man sich in Norwegen, im Herbst war man in Sussex, im Winter für einige Monate auf den drei großen Farmen im damaligen Rhodesien, die ihr Mann geerbt hatte, zwischendurch am Strand  von Durban. Im Frühjahr fand man sich wieder in Sussex, bis es dann erneut nach Norwegen ging.                                                        
                                                                         
Selbst kinderlos, war sie als Person streng, prüde und altjüngferlich geworden. Ihre Schwestern erkannten sie in dieser Form kaum wieder.  Sie wurde jedoch von allen, die sie kannten, geschätzt und respektiert.  Beim Besuch der teuren und seinerzeit wenig einladenden englischen Restaurants reklamierte sie oft den Teller, um dem Kellner mitzuteilen, "mein Mann kann sowas unmöglich essen".  

Wie für Damen der angelsächsischen Gesellschaft in den 50ern in Mode, rauchte sie stark. Ihr Neffe war nicht wenig überrascht, als sie ihm Anfang der 60er ihren ständigen Begleiter, das Feuerzeug, beiläufig schenkte.  
Offensichtlich aufgeklärt, trat das Unvermeidliche nach einigen Jahren ein. Die vom Erscheinungsbild  bis zuletzt nicht sichtbaren Effekte des  Lungenkrebses gab sie,  ganz nach Ihrer Art,  als momentane Gelenkbeschwerden aus.  In Gegenwart machtloser Mediziner starb sie im Dezember 1966 in einer Londoner Klinik. Ein tragisches Ende für eine athletische Frau von 56, die nie krank war, Medikamente grundsätzlich ablehnte, und wenige Monate vorher in Begleitung ihres Mannes, der sie um sechs Jahre überlebte,  noch regelmäßig zum Schwimmen im rauhen, kalten Wasser der Kanalküste fuhr.  

Eine der rhodesischen Farmen baute, und baut im heutigen Simbabwe weiterhin, ausschließlich Tabak an.

Ein herzliches Dankeschön geht an den Neffen Detlef E. Bodart, der einen intimen Blick auf das Leben von Marianne Winkelstern gewährte.
 
Back