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Abessinien-Flug . |
Vorwort:
Von
Zürich aus veranstaltete Walter Mittelholzer 1934 mit der Praesens Film
AG eine Expedition nach Abessinien über Athen,
Alexandrien-Kairo-Luxor-Assua, Kassala im Sudan nach Addis Abeba, der
abessinischen Hauptstadt. Die Filmaufnahmen dieser Expedition, vom
Kameramann Emil Berna ausgeführt, wurden sowohl als Dokumentarfilm als
auch in Buchform herausgegeben. In den USA erschien der Dokumentarfilm
unter dem Titel "Wings Over Ethiopia"
Reisebericht (Text Praesens Film AG):
Frühmorgens um 6 Uhr, bei Sonnenaufgang erhebt sich
die Maschine vom Landungsfelde bei Kassala zur letzten Etappe des
Fluges nach Addis Abeba und überschwebt ruhigen Fluges die
phantastischen Felstürme der Randgebirge.
Walter
Mittelholzer war der erste, der den Flug nach Abessinien vom Sudan her
wagte, obgleich die schroffen, wildzerklüfteten Randgebirge keinerlei
Möglichkeit für eine etwaige Notlandung bieten. Schon kommt der Tanasee
in Sicht. Er speist den blauen Nil mit jenem befruchtenden
Schlammwasser, dem das ferne Ägypten seine üppigen Ernten und die
einzigartige Erscheinung seiner alten Kultur verdankt.
In endloser
Folge ziehen die Hochplateaus des inneren Abessiniens unter den
Schwingen des Flugzeugs vorüber. Jedes Plateau ist vom andern durch
Lotrecht abstürzende, tausende von Metern tiefe Talfurchen getrennt,
die einzelnen Schollen dieses Hochlandes haben, von hier oben gesehen,
eine frappante Ähnlichkeit mit den abgesägten Stümpfen riesiger Bäume.
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Abessinische
Flugzeuge kommen uns zum Empfang entgegen, und schon wird der Saum des
grossen Eukalyptus-Waldes sichtbar. Er umgibt das ganze weitausgedehnte
Addis Abeba, die Hauptstadt Abessiniens. Die liegt 2400 Meter über dem
Meer. Ihre Wellblechdächer glänzen unter uns im Sonnenschein. Wir
umkreisen den weiten Platz, auf dem sich das Denkmal des früheren
Kaisers Menelik erhebt.
Das abessinische Militär
präsentiert das Gewehr. Inmitten von Scharen Bewaffneter stehen Fürsten
und Grosse des Landes, in dunkle Übergewänder gehüllt. Im Schatten
eines Baldachins sitzt der Kaiser. Das Herrschergeschlecht von
Abessinien ist uralt, es führt seinen Stammbaum bis auf den König
Salomon und die Fürstin von Saba zurück. Haile Selassie der Erste ist
der Sohn des Ras Makonnen. Die Abessinier vom Stamme der Amharen tragen
weisse Gewänder. Sie bilden die herrschende Rasse im Lande und bekennen
sich zum Christentum. Die anderen, unterworfenen Stämme Abessiniens,
sind Mohammedaner oder Heiden.
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Unter einem rotseidenen Sonnenschirm
schreitet der Kaiser auf das Flugzeug zu. Es folgen ihm der kleine
Prinz Makonnen und einige Hofbeamte.
Abessinien ist das einzige
Land, das seine Unabhängigkeit bis heute bewahrt hat. Seit den Tagen
des Ministers Ilg, eines Schweizers, unterhält das Land
freundschaftliche Beziehungen mit der Schweiz.
Nachdem der Herrscher
die Maschine eingehend besichtigt und über jede Einzelheit genaue
Erklärungen entgegengenommen hat, drückt er Mittelholzer seine hohe
Befriedigung aus und begibt sich in sein Auto, um nach der Residenz
zurückzufahren. Überall bleibt der Sonnenschirm über dem geheiligten
Haupte.
Eine lange Autokolonne folgt seinem Wagen. Sie ist besetzt
von Würdenträgern seines Hofes und den prominenten Vertretern der
Europäerkolonie der Stadt.
Diese Karte gibt die
geographische Lage Abessiniens an. Abessinien ist das einzig
unabhängige Reich in Afrika; einzelne Teile des grossen Landes sind
heute noch unbekannt. Eines der wichtigsten Gebiete ist die Gegend um
den Tanasee. Die äthiopische Hauptstadt heisst Addis Abeba.
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Vor
Beginn der Regenzeit verlassen wir Addis Abeba in der vom Pfeil
angedeuteten Richtung, um auf der einzigen Autostrasse, die nach Norden
führt, ins Innere des Landes vorzustossen.
Zwischen der Residenz
und der reichen Provinz Jima bewegen sich zahlreiche Karawanen. In
dieser Gegend ist der Boden äusserst fruchtbar und auf den weiten
Steppen weiden grosse Viehherden. In der Hauptsache Pferde, Kühe und
Esel. Häute und Tabak sind die wichtigsten Exportartikel. Die
Fruchtbarkeit des Gebietes erlaubt sogar das Anpflanzen von Baumwolle.
In
letzter Zeit ist viel von den japanischen Interessen in Abessinien
gesprochen worden. Das Land ist ein gutes Absatzgebiet für japanische
Waren; hier kann aber auch Baumwolle für die japanische
Textil-Industrie angebaut werden. Wir waren deshalb nicht sonderlich
erstaunt, eine Gruppe japanischer Beobachter in ihren Automobilen
anzutreffen. Die Japaner hatten einheimische Führer und Begleiter, mit
denen sie Abstecher in die verschiedene Gebiete des Landes machten.
Diese Gruppe stand unzweifelhaft in tadelloser Beziehung mit der
einheimischen Bevölkerung. Die Japaner interessieren sich für alles,
speziell für den Bedarf der Bevölkerung, für ihre Kleider und überhaupt
für Textilwaren.
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Abseits von den Strassen, in wilden und
unzulänglichen Tälern, ziehen grosse Karawanen nach ihren
Bestimmungsplätzen. Sie befördern auf Befehl der abessinischen
Regierung Kriegsmaterial und Munition, damit in den verschiedenen
Teilen des Landes Lager für den Krieg angelegt werden können. Die
Abessinier bewähren sich bei diesen Transporten, die sehr mühsam und
schwierig sind, als ausgezeichnete Läufer. Märsche von 40 Kilometer,
viele Tage lang, sind keineswegs selten, Leistungen, die für Europäer
unter den herrschenden klimatischen Verhältnissen gar nicht möglich
sind.
Der wilde Charakter dieser Gegend mit felsigen
Gebirgen und Steinen, das Fehlen jeder Strasse ist der beste Schutz des
Landes gegen eine Invasion. Auch für uns ist das Vorwärtskommen mit dem
Auto bald nicht mehr möglich, denn wir sind nur noch wenige Kilometer
vom Ende des Plateaus entfernt. Hier müssen wir unsere Autos verlassen.
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Jetzt
beginnt der anstrengendere Teil der Reise, da es keinen Bahnen und
Autostrassen mehr gibt. Man reist mit Reit- und Packtieren und
Zeltausrüstung, so einfach und ursprünglich, wie schon die Erzväter
gereist sind. Unser Dolmetscher führt in amharischer Landessprache
mühselige Verhandlungen über den Ankauf von Eseln.
Jetzt
ist der Eselskauf bis zur Unterzeichnung des Vertrages gediehen, ein
letzter Versuch, noch unter der Hand aufzuschlagen, bleibt erfolglos.
Die äthiopische Schrift ist uralt, recht kompliziert und daher
schwierig zu erlernen. So ist das Schreiben eine hohe und seltene
Kunst, und der Eingeborene leistet für gewöhnlich seine Unterschrift in
Gestalt eines Daumenabdruckes.
Kredit wird nicht gewährt.
Es werden nur Inkassogeschäfte abgeschlossen und der Betrag sofort in
Maria-Theresien-Talern ausbezahlt. Es ist dies die noch heute
kursierende Landesmünze, sie trägt das Prägejahr 1780.
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Das
Innere von Abessinien besteht aus flachen Tafelbergen, die durch tief
eingerissen Täler voneinander getrennt sind. Die Talgründe sind wild
und unwegsam, von Fiebermücken, von todbringenden Tsetsefliegen und
höllischer Tropenhitze erfüllt. Allmählich erscheinen zwischen den
phantastischen Kandelaber-Euphorbien der Hochsteppe die ersten
Wohnstätten der Eingeborenen. Es sind mohammedanische Gallstämme, die
hier wohnen.
Der Boden wird mit einfachen Holzstangen
gerodet. Es ist Männerarbeit, den Frauen bleibt die Aufgabe, ihn mit
altertümlichen Hacken weiter zu erarbeiten und für die Saat
zurechtzumachen. Das Ausdreschen des Getreides – in der Hauptsache
Gerste – wird dadurch bewerkstelligt, dass Ochsen tagelang im Kreise
darauf herumgetrieben werden.
Der Islam erlaubt seinen
Anhängern, mehrere Frauen zu haben, eine nutzbringende Einrichtung für
den Mann. Dieser hier lebt hauptsächlich von der Arbeit seiner zwei
Frauen.
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Neben der Feld- und Hausarbeit gehört es auch zu
ihren Pflichten, die angebaute Baumwolle zu verwerten, sie zu zupfen,
zu spinnen und schliesslich zu Kleidungsstücken zu verweben.
Eine besondere Pflege lassen die Frauen ihrem üppigen Haar angedeihen.
Immer
wird es mit frischer Butter eingesalbt. Es soll den Haarwuchs
befördern, leider befördert es auch, wenn die Butter ranzig geworden
ist, den Geruch. Und der ist so, dass man gleich ohnmächtig werden
könnte. Die Frisur ist ein kunstvolles Gebilde, sie besteht aus
zahllosen Zöpfen, so dünn wie Rattenschwänze, die eng um den Kopf
gelegt werden.
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Unter diesen Gallafrauen trafen wir einmal
eine wirkliche Schönheit an, das heisst wir vermuteten, dass sich unter
ihrer Schmutzschicht eine verbergen müsse. So gingen wir daran, unter
Opferung von sehr viel Seife, die Schönheit herauszuwaschen, eine
Prozedur, der sich diese Eingeborene in ihrem ganzen Leben sicherlich
noch nicht ein einziges Mal unterzogen hatte. Sie werden zugeben, dass
sich die Mühle lohnte.
In einem der Dörfer begegneten wir einem Trupp von wandernden Priestern.
Eine
eigenartige, abergläubische Sitte ist die willkürliche Erzeugung von
Brandnarben, von der sich die Eingeborenen eine Kräftigung der
Muskulatur versprechen. Hier kommt einer der uralten Feuerbohrer zur
Anwendung, ein Holzstab wird bis zur Gluthitze gerieben und damit die
Brandmale erzeugt. Bei Tieren wird ein glühendes Eisen verwendet. Durch
das Brennen sollen Krankheiten und Gebrechen geheilt werden.
Auf die Wunden gestreute Asche dient als Desinfektions- und Heilmittel.
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Die
Schnittnarben im Gesicht dieses Knaben sind Stammesabzeichen. Sie
werden den Kindern schon im frühen Alter beigebracht. An den Narben,
die mit einem sorgfältig abgezogenen Rasiermesser hervorgebracht
werden, erkennt man die Zugehörigkeit zu Stamm und Sippe, eine
unerlässliche Feststellung bei Heirat und Erbschaft.
Zuerst werden
die Linien mit einer farbigen Flüssigkeit vorgezeichnet und dann mit
dem Messer eingeschnitten. Und sofort setzen sich, nach Beendigung der
Operation, zahllose Fliegen auf die Wunden dieser gequälten kleinen
Wesen.
Vom Norden Abessiniens führte die Expedition
wiederum über Addis Abeba nach dem Süden des Landes. Die vorliegende
Karte zeigt die abessinischen Nachbarländer im Osten:
Ital. Erytraea
Franz. Somaliland / mit der Hafenstadt Djibouti
Engl. Somaliland und
Ital. Somaliland
Unsere Spedition interessiert sich ganz besonders für das abessinisch-italienische Grenzgebiet.
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Die
einzige Eisenbahn Abessiniens führt von Addis Abeba nach Djibouti. Die
Verwaltung ist französisch, das Personal besteht aus Abessiniern. Der
Zug verkehrt nur zwei Mal in der Woche. Die Ankunft und Abfahrt bildet
stets ein grosses Ereignis für die Einwohner. Von allen Seiten kommen
sie herbei, um die Eisenbahn anzustaunen und den Reisenden ihre
Produkte anzubieten. Grosse Scharen von abessinischen Jungen laufen
herbei; sie sammeln die Münzen ein, die von den Reisenden aus den
Fenstern geworfen werden. Zahlreiche Bäume verschönern hier das
Landschaftsbild. Auf dem Plateau ist die Vegetation üppig. Je mehr wir
uns dem Tiefland nähern, desto mehr verwandelt sich die Gegend in ödes,
unfruchtbares Wüstenland.
Am Ende des 2. Tages nähern wir
uns dem Ziel: Von weitem grüssen die hohen Berge Südabessiniens
herüber. Die Strecke wird stark bewacht, ein Zeichen der unruhigen
Zeiten? Auch hier versammelt sich die ganze Bevölkerung und staunt den
Zug an. Sie besteht in diesem Teil des Landes hauptsächlich aus Somali,
die fast alle Mohammedaner sind. Sie wohnen in Häusern aus Stein, denn
in dieser vegetationsarmen Gegend sind Steine das natürliche
Baumaterial. Die Abessinier sind nur Verwalter des Landes. Die Grenze
ist nie genau festgesetzt worden. Die einzelnen Stämme kümmern sich
denn auch nicht viel um Gesetze und Verordnungen. Hier zählt ein
Menschenleben nicht viel; auf diesen Umstand sind auch die
verschiedenen Zwischenfälle, die sich zwischen Italien und Abessinien
ereigneten, zurückzuführen. Es hat den Anschein, als ob sie den
Italienern als Vorwand zu einem Kriege dienten.
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Emil Berna | |
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Für die weitere Etappe benützt die Expedition Kamele, um ins Innere des Landes vorzustossen.
Jetzt befinden wir uns in der Nähe der afrikanischen Küste im Lande der Itu und Dankali.
Die
einzigen Wegzeichen in diesen entlegenen Gegenden sind Gräber. Sie
wölben sich über den Gebeinen von Wanderern, die von den wilden
Bewohnern dieses Landes erschlagen worden sind.
Solch
friedliche Begegnungen wie diese gehören hierzulande zu den
Seltenheiten. Der öde, unfruchtbare Boden des Landes bietet nur einer
beschränkten Anzahl von Menschen Existenzmöglichkeiten. Und so leben
die riesigen Stämme untereinander in ewigen, nach kurzen Friedenszeiten
immer wieder aufflammenden Fehden.
Wenn Angehörige verschiedener
Völkerschaften einander in der Wildnis begegnen, so geschieht die
gegenseitige Annäherung nur sehr vorsichtig und zögernd. Nach langen
Reden und Erklärungen wird der Friede bekräftig, indem sie sich
gegenseitig die Haare kämmen.
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Hier zieht ein Trupp von
Ituleuten einem Flusse zu, um dort eine Zeremonie zu veranstalten. Ihr
Anführer trägt eine schwarze Ziege. Denn im Dorf ist jemand erkrankt
und durch ein Blutopfer müssen die bösen Geister von denen der Kranke
nach dem Dämonenglauben der Eingeborenen besessen ist, besänftigt und
gütig gestimmt werden.
Unter rituellen Tänzen wird ein Zicklein am
Flussbette geschlachtet. Mit dem Blut bestreichen sich die Nachbarn des
Kranken die Gesichter.
Auch bei Schliessung einer
Blutsbrüderschaft wird eine Ziege getötet, mit deren Blut sich die
Teilnehmer ein Zeichen auf die Stirne malen. Die Sehnen und Gedärme
werden sorgsam herausgeschnitten und zum Zeichen der Blutsverbundenzeit
bei den nachfolgenden Tänzen um Hand- und Fussgelenke getragen.
Den Abschluss der Feierlichkeit bildet das Verspeisen des Opfertieres.
Bei
diesen grausamen Szenen werden wir uns bewusst, dass wir unter diesen
Wilden mit ihrer unberechenbaren Gemütsart uns in grosser Gefahr
befanden, reiste doch unsere Expedition stets ohne Bewachung. Alles
dies war nur möglich, weil wir mit dem Häuptling eines solchen Stammes
im besten Einvernehmen standen. Mit Sicherheitsnadeln, Glasperlen, und
anderen kleinen Geschenken erkauften wir unsere Sicherheit.
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Als
wir das Tam-Tam einer Eingeborenenmusik hörten, waren wir rasch zur
Stelle und so gelang es uns, auch eine Hochzeit bei den Itu aufzunehmen.
In
den Tänzen tritt jetzt eine Pause ein. Sie ist nur kurz, aber sie
genügt diesen leistungsfähigen Wilden, um den zur Hochzeit
geschlachteten Ochsen restlos aufzuessen. Neu gekräftigt, setzen die
Männer darnach den Tanz allein fort, unermüdlich, Tag und Nacht
hindurch.
Am fünften Tag nach der Hochzeit verlässt der
Ehemann die Hütte, und es erscheint, eine ganz offizielle Einrichtung,
der erste Freund der Frau. Zum Zeichen, dass das Haus besetzt ist,
lehnt er seinen Speer neben die Türe, um Kollisionen mit den andern
vier Freunden zu vermeiden, die sich die Frau, der Sitte gemäss,
anschaffen darf. So besitzt also eine Frau einen Mann und fünf Freunde.
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Jetzt
befinden wir uns beim Stamme der Dankali. Ihre bienenkorbförmigen
Hütten sind so gut dem Gelände angepasst, dass die Dörfer erst in
allernächste Nähe als solche zu erkennen sind. Die Hauptbeschäftigung
der Frauen dieses Stammes ist das Flechten von Matten und Körben. Zu
ihren häuslichen Verrichtungen gehört auch die schwere, körperliche
Arbeit des Maisstampfens.
Als grösste Ehre für einen Mann
gilt es, einen Feind getötet zu haben. Als sichtbares Zeugnis der Tat
legt er sich eine Perlenschnur um den Hals. Und heiraten darf er erst
dann, wenn er die abgeschnittenen Geschlechtsteile eines erschlagenen
Gegners vorweisen kann. Eine Sitte, die ihren Grund in der
erbarmungslosen Unwirtlichkeit dieses Landes hat, wo erst Lebensraum
für eine neue Familie durch die Austilgung einer anderen geschaffen
werden muss.
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Mit Beginn der Regenzeit befinden wir uns
wieder in Addis Abeba. Der Gegensatz zwischen der Wildnis im Innern des
Landes und der Hauptstadt berührt angenehm. Vom Kaiser Haile Selassie
wurden tadellose Schulen eingerichtet. 40 Kirchen stehen den Gläubigen
der verschiedenen Konfessionen zur Verfügung. Zahlreiche Spitäler sind
aufs modernste eingerichtet. Überall in der Umgebung von Kirchen und
Klöstern trifft man Scharen von Kranken, die durch die Nähe der
geheiligten Stätte eine Heilung ihrer Gebresten erhoffen. Die Mehrzahl
unter ihnen sind Aussätzige, welche die furchtbaren Verheerungen ihrer
hoffnungslosen Krankheit zeigen, um das Mitleid der Gläubigen zu
erregen. Viele von ihnen finden im grossen amerikanischen
Lepra-Hospital von Addis Abeba Aufnahme, wenn auch nicht Rettung, denn
eine solche gibt es vor dieser Geissel des Orients heute noch nicht.
Den von Aussatz Befallenen faulen ganze Gliedmassen ab, und ihre
Gesichter werden zur formlosen Masse.
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In der Nachbarschaft
der Kultstätten befinden sich die Schulen und Ausbildungsanstalten für
die Priester der abessinischen Kirche. Hier werden sie in den
religiösen Gebräuchen ihres Glaubens unterrichtet und zu
Wanderpredigern ausgebildet, um dann das ganze weite Land zu
durchziehen und in den einsamsten Gegenden Gottesdienst abzuhalten.
Hier erlernen sie auch die Ausübung eines der wichtigsten Gebräuche
ihres Bekenntnisses, die Beschneidung. Die abessinische Kirche hat an
dieser uralten Einrichtung festgehalten, und zwar mit gutem Grunde,
denn neben ethisch-religiöser, hat der Brauch in diesen heissen Ländern
auch eine hygienische Bedeutung. Die Operation wird im dritten
oder vierten Lebensjahr des Kindes vollzogen. Der Junge wird
abgewaschen und für die Zeremonie zurechtgemacht.
Dann bereitet der
Priester den Faden vor mit dem die Vorhaut abgebunden wird, eine scharf
geschliffene Rasierklinge entfernt die Vorhaut mit raschem sicherem
Schnitt. Die Mutter des Kindes präpariert unterdessen eine Handvoll
getrockneter Kräuter, sie werden dann angezündet, ihr aromatischer
Rauch soll das Blut stillen und die Heilung beschleunigen. Die Vorhaut
aber wird in ein grünes Blatt eingewickelt und, eine seltsame Sitte,
mit Hundekot an die Wand des Hauses angeklebt, in dem die Beschneidung
stattgefunden hat.
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Die Begrüssungszeremonien, die sie hier
sehen, erinnern, wie so vieles in diesem Lande, an die romantischen
Zeiten des Mittelalters. Frauen werden durch eine tiefe Kniebeuge, eine
Art Hofknix begrüsst. Freunde, die einander längere Zeit nicht gesehen
haben, umarmen und küssen sich auf der Strasse.
Ganz
mittelalterlich ist auch der Brauch, nie ohne bewaffnetes Gefolge in
der Öffentlichkeit zu erscheinen, jeder bessergestellte Abessinier hat
wenigstens einen Leibwächter auf Schritt und Tritt hinter sich.
Kläger
und Beklagte, Schuldner und Gläubiger sind zusammengekettet, denn der
Abessinier ist in Geldsachen sehr genau. Kann ein Gläubiger seine
Forderung nicht eintreiben, so lässt er sich mit dem Schuldner
zusammenketten und gibt ihn nicht mehr los, bis unter seiner Aufsicht
der letzte Heller abgearbeitet ist. Er muss mit ihm essen und trinken
und schlafen, und, wenn es nötig ist, auch springen.
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Ebenso
altertümlich ist die Rechtspflege Äthiopiens. An jedem Orte, selbst an
Eisenbahnstationen, kann man Gerichtsszenen beobachten. Ein
Friedensrichter wird von den streitenden Parteien ernannt und in
dramatischer Weise der Fall vorgetragen, das Urteil muss sofort
vollstreckt werden.
In Addis Abeba tagen Gerichte für
leichte Fälle überall an Strassen und Plätzen in kleinen, von der
Regierung erstellten Häuschen. Hier werden all die kleinen
Streitigkeiten, an denen das abessinische Alltagsleben sehr reich ist,
ausgetragen, wenn irgend möglich, durch gütlichen Vergleich. Besonders
heiss geht es bei Ehescheidungen zu, wobei, ganz wie bei uns, sich
stets der Mann am aufgeregtesten benimmt, während die Frau ruhig und
klug ist!
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Im grossen und kleinen Gibi, wie die
Kaiserpaläste genannt werden, herrscht ein unaufhörliches Kommen und
Gehen, denn hier tagen Gerichtshöfe für schwerere Vergehen. Die
Angeklagten stehen unter strenger Bewachung. Selbst kleine Buben
verrichten Wächterdienste. Die Füsse der Angeschuldigten sind mit
Ketten aneinander gefesselt. Auch bei diesen hohen Gerichten gibt es
keine Anwälte, jeder Angeschuldigte führt seine Verteidigung vor dem
Richter selbst. Der Gerichtsschreiber liest die Anklageschrift vor, der
Richter hört in steinerner Ruhe zu. Vor ihm liegen die uralten
Gesetzbücher. Er fällt das Urteil weniger nach dem strengen Buchstaben
des Gesetzes, als nach dem Grundsatz des gesunden Menschenverstandes.
Die
Gefängnisse bestehen nur aus freien Plätzen, die mit Stacheldraht
umhegt sind. Ein paar offene Hütten bieten den Gefangenen Schutz vor
den Unbilden der Witterung. Die Insassen dieser merkwürdigen
Gefangenenanstalten dürfen jederzeit von ihren Angehörigen besucht
werden.
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Wenn ein Todesurteil gefällt ist, werden die
Verurteilten auf ihrem letzten Wege von allen ihren Verwandten,
Freunden und Bekannten begleitet, keiner schliesst sich aus,
gleichgültig was der dem Tode Verfallene auch begangen haben mag. Die
Delinquenten werfen sich nieder, um im Gebet Gott um Vergebung
anzuflehen. Die Hinrichtung wird von den Angehörigen des Ermordeten
durch Erschiessen vollzogen, eine Art gesetzliche Blutrache. Die zum
Tode Verurteilten werden zur Richtstätte hingeführt. Betende und
singende Priester und die Angehörigen bleiben vor dem Tor zurück.
Der
Kaiser hat die Ankunft unseres Flugzeuges als Anlass benützt, seinen
Untertanen, wie auch den Weissen in seinem Lande, die Macht Äthiopiens
in einer grossen Militärparade vorzuführen. Mit Ausnahme der Hofleute
und hohen Beamten geht alles barfuss. Auch die Armee trägt keine
Schuhe, was jedoch ihre Leistungsfähigkeit im Marschieren nicht
beeinträchtigt. Ungeheure Menschenmassen strömen zu diesem seltenen
Schauspiel herbei. Immer neue Scharen von Bewaffneten kommen herzu,
denn jeder Abessinier, auch vom kleinsten Rang, hat eine Leibwache und
sei es nur ein Negerjunge mit einem Gewehr oder Speer bewaffnet. Je
höher der Rang des Abessiniers, desto grösser ist der Tross von
Bewaffneten, die ihn umgeben. So erinnert das Schauspiel mit seinem
Getümmel waffenstarrender Menschen an die verklungene Romantik des
Mittelalters. Die Absperrenden haben Mühe, die immer neu herzukommenden
Menschenmengen in Schach zu halten. Durch das brausende Gemurmel der
Massen dringen, immer näherkommend, die schmetternden Klänge einer
Militärmusik. Die Kapelle besteht aus freigelassenen ehemaligen
Negersklaven des Kaisers. Der Kapellmeister ist ein Schweizer, Monsieur
Nicod aus Yverdon.
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Abessinien besitzt zu Militärzwecken
nur eine geringe Zahl von Flugzeugen, die kaum zu Verteidigungs- oder
Angriffszwecken benützt werden können. Sie dienen mehr zur Überbringung
von Nachrichten. Eben kommen zwei abessinische Beobachter von der
Südfront an, die Mitteilung bringen, dass die Vorbereitungen zum
militärischen Aufmarsch mit fieberhafter Eile getroffen werden.
Die
regulären abessinischen Truppen sind mit den modernsten Waffen
versehen. Ganze Kompagnien rücken mit Maschinengewehren auf Maltieren
auf. Hohe abessinische Würdenträger versammeln sich auf dem Platz, um
die Vorbereitungen zu beobachten. Alle militärischen Vorkehrungen
werden vom Oberbefehlshaber, dem Kaiser, überwacht.
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Von
seinem Zelt aus verfolgt der Kaiser die Bewegungen und Übungen der
Truppen für den bevorstehenden Kampf. Wir hören nun noch die Meinung
des Kaisers zur heutigen Situation. Er hofft immer noch auf die
Beilegung des ausgebrochenen Konfliktes durch den Völkerbund:
"Es
sind jetzt mehr als 10 Jahre her, seitdem wir ein Mitglied des
Völkerbundes wurden und somit in friedliche Beziehungen zu den Völkern
der Welt traten. Was Abessinien will! Im Frieden mit den drei grossen
Nationen leben, deren Kolonien an Abessinien grenzen. Ich habe
Vertrauen in den Völkerbund, aber wenn dennoch ein Krieg kommt, dann
werden wir uns bis zum letzten Mann für die Verteidigung des
Vaterlandes einsetzen."
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Nachtrag
2016:
Das Königreich Abessinien wurde 1974 aufgelöst (es existierte von
ca. 980 bis 1974 und war der älteste existierende Staat der Welt). Zur
Zeit der Reise von Walter Mittelholzer wurde der Staat von Kaiser Haile
Selassie (1892-1975) geführt. Die Nachfolge von Abessinien war die
Demokratische Volksrepublik Äthiopien. Diese wiederum bestand bis 1991.
Heute verteilt sich das ehemalige Abessinien auf Äthiopien und Eritrea.
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Nach der Filmpremiere - Emil Berna und Walter Mittelholzer | |
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Mitarbeiterliste: Regie: |
. L. Wenschler |
Die Macher im Hintergrund: |
Lazar Wechsler - Produzent |
Walter Lesch - Drehbuch und Schnitt |
Emil Berna - Kamera |
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Ein herzlicher Dank geht an Herrn Gassmann für die Zurverfügungstellung des Archivs.