HOME | AUTOGRAMME
VERKAUFSLISTE |
INDEX SCHWEIZER FILMSCHAFFENDE | DER SCHWEIZER FILM |
Frauennot
- Frauenglück |
Vorwort:
Der Halbdokumentarfilm "Frauennot - Frauenglück" von 1929 zeigt sehr
deutliche Bilder über das Thema Geburt und Abtreibung, die in
jenen Jahren noch völlig ungewohnt waren. So verwundert es nicht, dass
es
auch immer wieder zu Einwänden gegenüber einzelnen Szenen gab und die
Gerichte sich damit beschäftigen mussten.
So
war die höchste deutsche Instanz der staatlichen Filmzensur - die Berliner
Oberprüfstelle - dreimal mit dem Film beschäftigt. Zum einen besteht
ein Urteil vom 26. Mai 1930, wo ein früheres Urteil wie folgt
abgeändert wurde:
Es sind noch
folgende Teile verboten: Die Darstellung der normalen Geburt in Akt V
nach Titel 1 (in demselben Umfang wie diejenige des Kaiserschnitts).
Der weitergehende Antrag des Beschwerdeführers wird zurückgewiesen. Das
Verbot des Kaiserschnitts begründet sich darin, dass die Darstellung
dieser Operation die Nerven auch gesunder Zuschauer derart stark in
Anspruch nehmen werde, dass eine gesundheitliche Schädigung zahlreicher
Besucher zu befürchten sei. Siehe auch publizierter Rechtsspruch am Ende dieses Berichts.
Es
folgte ein weiterer Entscheid am 8. November 1930 und schliesslich
wurde am 22. Dezember über einen Antrag der Bayerischen,
Thüringischen und Badischen Regierung entschieden, die einen Widerruf
der Zulassung des Filmes anstrebte. Darin wurde verkündet: Es wird die von der Filmprüfstelle Berlin vom 15. November 1930 die Zulassung widerrufen für Akt III nach Titel 24 und 29:
1. Die Abtreiberin schiebt dem auf dem Bett liegenden Mädchen bei dem Eingriff die Beine auseinander.
2. Die von der selben Prüfstelle am 18. Juni 1930 ausgesprochene Zulassung des Begleitvortrages von Dr. Med. Peter Schmidt.
Es folgte eine ausführliche Beschreibung des Tatbestandes. Siehe auch publizierter Rechtsspruch am Ende dieses Berichts.
Inhalt:
In
der ersten Hälfte des Filmes wird das Schicksal jener Frauen gezeigt,
die in Armut leben und sich nicht die neuesten medizinischen
Errungenschaften leisten können - Frauennot.
Wir blicken in den
Alltag einer armen Familie. Am Esstisch sitzen die Eltern mit
ihren Kindern, die Teller sind beinahe leer. Die Mutter sieht zu ihrem
Mann, der seinen Kopf auf seine Hände stützt und einen verzweifelten
Eindruck macht. Er sieht keine Lösung, wie er den Lebensunterhalt der
Familie bestreiten soll. Die Mutter blickt auf das karge Mahl und
danach in die ausdruckslosen Gesichter ihrer Kinder. Ihre Hand gleitet
unauffällig vom Tisch auf ihren Bauch - der nächste Nachwuchs macht
sich bereits bemerkbar, das fünfte Kind. Doch sie weiss, dass sich die
Familie dies nicht leisten kann. In ihrer Verzweiflung fasst sie den
Entschluss, das Kind abtreiben zu lassen. Sie begibt sich zu einer
"Engelmacherin" und lässt sich ihr Kind wegmachen.
Die vierfache Mutter ist erneut schwanger |
Der verzweifelte Vater |
Die apatisch wirkenden Kinder |
Einige Tage
später geht es ihr gesundheitlich immer schlechter und ihr Mann ruft
das Krankenhaus an. Die Ambulanz bringt sie ins Spital, zurück bleiben
die Kinder und der Mann, dessen Verzweiflung nun noch grösser ist, da
seine Frau nicht mehr für die Familie mitsorgen kann.
In
einem weiteren Fall wird eine Frau gezeigt, die sich von einem
wohlhabenden Herrn verführt wird. Doch als sich Nachwuchs ankündigt,
entzieht er sich der Verantwortung und überlässt die Bürde der
mittellosen Frau. Nur eine heimliche Abtreibung scheint der einzige
Ausweg zu sein.
Der Sohn zeigt bereits die gleiche Hoffnungslosigkeit |
Der Entscheid der Mutter, abzutreiben |
Komplikationen nach der Abtreibung |
Es folgt
ein weiterer Fall. Eine Frau besucht ihren Mann auf der Baustelle und
bringt ihm das Mittagessen vorbei. Sie flüstert ihm ins Ohr, dass sie
ein Kind erwartet und beide freuen sich über dieses Ereignis. Ihr Mann
geht zurück zur Arbeit und besteigt seinen Kran. Sie schaut noch einmal
zu ihm um und muss in dem Moment ansehen, wie ihr Mann durch einen
Stromschlag vom Kran in den Tod stürzt.*
Ohne ihren Mann sieht sie keine Zukunft für ihr ungeborenes Kind.
Die Mutter muss mit inneren Blutungen in das Spital gebracht werden |
Junges Mutterglück |
Der Erzeuger wird über das Ereignis informiert |
*Anmerkung:
Hier endete die Geschichte der verzweifelten jungen Frau. Nachdem
Tissé, Eisenstein und Co. bereits das Filmprojekt beendet hatten,
entschloss man sich, zusätzliche Szenen mit Dialog hinzuzufügen. Der
Tonfilm hatte gerade seinen Siegeszug angetreten. Die Szenen wurden mit
anderen Darstellern nachgedreht, man blieb aber dem Stil von Tissé und
Eisenstein treu, so dass sich die Szenen in den Film ohne Probleme
integrierte.
Abschied vom Ehemann am Arbeitsplatz |
Der tödliche Unfall |
Das Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben |
Doch in der Wohnung der Engelmacherin gibt es sowas
nicht. Der Eingriff bei der jungen Frau geht schief und sie stirbt an
inneren Blutungen.
Nach dem Tod des Mannes bleibt nur der Gang zur Abtreibung |
Noch ein Schritt und es gibt kein Zurück |
|
Ein Kommentar informiert die Zuschauer, dass
jedes Jahr rund 2 Millionen Frauen in Europa sich der Gefahr einer heimlichen
Abtreibung aussetzen und dabei nicht nur ihre Gesundheit sondern auch
ihr Leben aufs Spiel setzen. Auch das Gesetz verfolgt die Beteiligten,
sowohl die Ausführenden der Abtreibung als auch jene, die abtreiben
lassen.
Bange Minuten |
Die Prozedur ist schmerzhaft |
Die Engelmacherin |
Der
2. Teil des Films konzentriert sich auf die professionelle Umgebung
eines Spitals, mit Fachkräften besetzt, wie man die Frauen bei der
Geburt unterstützt. Es werden jeweils eine normale Geburt und eine
Geburt mittels Kaiserschnitt gezeigt und die hohe Kunst der Ärzte propagiert.
|
Der Eingriff schlägt fehl, die Frau stirbt |
Narkose im Spital |
Nachtrag:
Es
war Lazar Wechslers bestreben, auf die Missstände der zahlreichen unter
katastrophalen Umständen stattfindenden Abtreibungen von Frauen hinzuweisen, die in
ihrer Not keinen anderen Ausweg sahen, als sich in dunklen
Hinterzimmern einer gefährlichen Prozedur auszusetzen.
Zahlreiche Utensilien im Spital |
Hygiene wird grossgeschrieben |
Operationsinstrumente |
Nachdem
Emil Berna erste Szenen im Zürcher Spital von einer Geburt gedreht
hatte, fehlte aber die zündende Idee, wie man dieses Projekt fortsetzen
sollte ohne an Tiefe zu verlieren. Da kontaktierte Lazar Wechsler
den berühmten Regisseur Sergej M. Eisenstein, um ihn für den Film
zu gewinnen. Dieser war interessiert am Thema und reiste mit seinem
Freund
Eduard Tissé und Grigori Alexandrow nach Zürich. Da Eisenstein selbst
dann zahlreiche Vortragsreisen unternahm und nicht wirklich Zeit für
den Film hatte, übernahm Eduard
Tissé die Regie (es war dies dessen erste Regiearbeit), Sergej M.
Eisenstein übernahm die Rolle des Beraters und war anschliessend wohl
auch
am Schnitt beteiligt.
Grigori Alexandrow schrieb das Script zum fiktiven Teil des Films.
Nebst den
dokumentarischen Aufnahmen aus dem Zürcher Universitätsspital
Frauenklinik, die danach von Emil Berna fortgesetzt wurden, wurden mit Spielszenen die (Hinter-)Gründe der Frauen aus der armen
Schicht aufgezeigt, um deren Handeln dem Publikum verständlich zu
machen.
Sorgfältige Vorbereitung |
Geschultes Personal |
Ausgestattet mit den neuesten Maschinen |
Der
Film feierte seine Premiere in der Schweiz am 21. März 1930, am 19.
Juni 1930 wurde der Film auch erstmals in Deutschland gezeigt. Nach
Einsprache mehrerer Parteien, die den Entzug der Zulassung forderten,
wurden in Deutschland aber einige Szenen rausgeschnitten. Die
restlichen Forderungen wurden abgewiesen. Zudem musste begleitend zum
Film ein Vortrag gehalten werden, dieser Entscheid wurde aber kurze
Zeit später wieder aufgehoben.
Der Film wurde in Deutschland auch mit dem Zusatztitel "Das Hohe Lied der ärztlichen Kunst" vertrieben.
Die Kinderbetten stehen bereit |
Eine Assistentin bedient das Narkosegerät |
Blick in das Universitätsspital Frauenklinik |
Darsteller:
|
Mitarbeiterliste: Regie: |
. Eduard Tissé |
Nachfolgend
eine Auswahl von Fotos, die
hinter die Kulissen der Dreharbeiten blicken lassen.
|
Grigori Alexandrow, Eduard Tissé, Sergej M. Eisenstein und Emil Berna |
Während den Dreharbeiten wurde das russische Team vom Ehepaar Wechsler bewirtschaftet. Als Dank erhielten sie das signierte Foto mit der Widmung "Dem waghalslichsten Autofahrer der Schweiz - unserem Freunde Wechsler" |
Sergej M. Eisenstein betrachtet interessiert einen abgetriebenen Fötus |
Sergej M. Eisenstein |
|
|
Eduard Tissé testet eine Behandlungsliege |
Deutscher Kommentar |
Gerichtsentscheid Berliner Film-Oberprüfstelle vom 26.05.1930 |
Gerichtsentscheid Berliner Film-Oberprüfstelle vom 22.12.1930 |
Ein herzlicher Dank geht an Herrn Gassmann für die Zurverfügungstellung des Archivs.